Scheitern als Chance

Eigentlich berichtet man nur über erfolgreiche Projekte, erfolgreiche Initiativen und erfolgreiche Medien-Startups. Ich hingegen propagiere seit Jahren den Spruch: Mut zum Scheitern. Denn nur dadurch verlässt man den vermeintlich sicheren Pfad und wagt etwas wirklich Neues. Im März dieses Jahres war ich eine Woche auf Recherchereise in Warschau und habe mit vielen erfolgreichen Startup-Gründern gesprochen. Nur ein Projekt gilt als gescheitert und trotzdem war das Gespräch mit Initiator Grzegorz Lindenberg so interessant, dass ich zumindest ein paar seiner Gedanken an dieser Stelle festhalten möchte.

Lindenberg ist mit seinen 62 Jahren eigentlich ein Exot in der Startup-Welt. Denn die meisten Gründer sind in ihren Dreißigern. Ihn scheint das nicht weiter zu stören: „Wenn du nicht daran denkst, spielt es keine Rolle.“ Trotzdem räumt er ein, dass er weniger Energie habe als früher. 16 Stunden am Stück könne er heutzutage nicht mehr arbeiten und der Optimismus von früher habe auch deutlich abgenommen.

Angefangen hat er 1989 bei der größten Tageszeitung Polens, der „Gazeta Wyborcza“, und hat viel Erfahrung in den Bereichen Businessmanagement, Werbung, Distribution und Marketing gesammelt. Seine größte Sorge gilt in diesen Tagen der Qualität, denn „Onlinejournalismus in Polen wird immer schlechter“. Damit meint er, dass im Netz immer mehr Fehler gemacht und die journalistischen Standards immer weniger eingehalten werden würden. Deshalb wollte er mit seinem Projekt „Webnalist“ eine Insel schaffen, „die ernsthaftem Journalismus hilft, zu überleben“. Dabei stand für ihn die publizistische Unabhängigkeit im Vordergrund, weshalb er ausschließlich auf den Leser als Einnahmequelle setzte.

Mitte 2016 konnte er auch Google von der Idee überzeugen und bekam ein Prototypen-Stipendium in Höhe von 50.000 Euro. Damit konnten die Webseite gebaut und erste Artikel honoriert werden. Die Kernidee: Autoren verkaufen einzelne Geschichten an ihre Leser. Für große Verlagshäuser gibt es seit einigen Jahren ein ähnliches Produkt namens „Blendle“. Hier können Springer & Co. einzelne Artikel für 0,39 Cent anbieten. Der Nutzer hat ein bestimmtes Guthaben und bezahlt nicht für die ganze Zeitung, sondern nur für Inhalte, die ihn dezidiert interessieren.

Neue Plattform für polnische Journalisten

Bei „Webnalist“ sollte ein Artikel mindestens 10 Cent kosten. Das Unternehmen verlangte von den Autoren außerdem 30 Prozent Provision für Faktencheck und die Verbreitung. „In Polen werden immer mehr gute Journalisten gefeuert, weil die Medienunternehmen sparen müssen – und diesen Journalisten wollten wir eine Plattform bieten, weiter zu publizieren“, so Grzegorz Lindenberg.

Denn die Medienunternehmen haben – genauso wie in Deutschland – das Problem, dass sowohl die Anzeigen als auch die Verkaufserlöse zurückgehen. Wenn sie in den vergangenen Jahren nicht weitere Standbeine wie Events oder digitale Produkte aufgebaut haben, müssen sie nun die Belegschaft drastisch reduzieren. Dabei glaubt Lindenberg beispielsweise nicht an ein Abo-Modell: „Das basiert auf der Idee, dass man nur eine Zeitung liest. Aber in Zeiten des Internets liest man 100 verschiedene Quellen, manchmal erinnert man sich gar nicht mehr daran wo man was gelesen hat.“

Deshalb funktioniere ein Abo-Modell nur bei globalen Marken wie der „New York Times“, die sich an 400 Millionen englischsprachige Leser richtet. In Polen ist die „Gazeta Wyborcza“ besonders stolz darauf, mehr als 100.000 digitale Abos zu verkaufen. Aber auch das reicht offenbar nicht aus, um den Kostendruck dauerhaft zu senken. Allein 2017 hat sich der Verlag von gut 100 Mitarbeitern getrennt.

Wenn man vom Nutzer her denkt, wäre ein „Spotify für journalistische Produkte“ das ideale Modell, findet Grzegorz Lindenberg. Damit hätte man Zugriff auf alle Medien, müsste aber nur einmal bezahlen. Dass es das bislang noch nicht gibt, hat mehrere Gründe. Erstens sprechen wir da nicht von Millionen Musiktiteln wie beim bestehenden Spotify, sondern von mehreren Dutzend Medien. Und zweitens verstehen sich die unterschiedlichen Verlagshäuser als erbitterte Konkurrenten, weshalb es nahezu unmöglich ist, ein gemeinsames Bezahlmodell auf den Weg zu bringen.

Bei „Webnalist“ haben sich nach einem halben Jahr gut 7.000 Leser registriert. Sie alle bekamen ein virtuelles Guthaben und konnten damit sechs Artikel kaufen und lesen. Doch schnell stellte sich heraus, auch wenn sie für die Inhalte real bezahlt hätten, wäre es zu wenig gewesen. Wenn ein Artikel beispielsweise 10 Cent kostet, müssten 1.300 Leser den Artikel kaufen, damit ein Autor lediglich 100 Euro Honorar – abzüglich der Provision an „Webnalist“ – erhält. Da sich aber nicht jeder Leser für jedes Thema gleichermaßen interessiert, bräuchte man ein Vielfaches mehr an registrierten Nutzern, um am Ende auf diese Summe zu kommen.

Ein halbes Jahr war zu kurz

Im Nachhinein sagt Gründer Grzegorz Lindenberg hätte er mindestens ein Jahr gebraucht, um genug zahlende Leser zu finden und die Idee bekannter zu machen. Eine weitere Lehre war, dass man Mechanismen entwickeln müsse, die Nutzer dazu zu bewegen, die Webseite täglich zu besuchen. Nur einmal in der Woche oder im Monat bringe kaum etwas. Außerdem würde er im Nachhinein mehr mit den Lesern kommunizieren und sie aktiv auf neue Artikel aufmerksam machen. Und: Er würde auf einige wenige ausgezeichnete Autoren setzen und diese besser bezahlen. „Inzwischen bin ich der festen Überzeugung, dass nur außergewöhnliche Texte überhaupt eine Chance haben, Aufmerksamkeit zu bekommen“, so Lindenberg.

Als er mit den unterschiedlichen Medienhäusern in Polen gesprochen hat, hat er ihnen auch angeboten, seine Grundidee zu ihren Gunsten zu verändern. So wollte er beispielsweise die Inhalte der Archive zum Verkauf anbieten. Aber auch darauf sprangen die Verleger nicht an. Seit gut einem Jahr liegt die Webseite von „Webnalist“ nun also auf Eis. Initiator Lindenberg wartet darauf, dass er sich für einen EU-Fördertopf bewerben kann, den die polnische Regierung freigeben muss. Er spricht von 100.000 Euro. Deshalb sei zum Beispiel Crowdfunding, das bei Medien-Startups durchaus beliebt ist, keine Alternative – „die erfolgreichsten Projekte bekommen 25.000 Euro, aber das reicht für uns nicht aus, um damit ein Jahr über die Runden zu kommen.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert