Die Sehnsucht nach der langen Form

Die lange Form, die ganze Geschichte“ – so lautete das Motto der netzwerk-recherche-Fachkonferenz „Weiblick“, die am 22. und 23. November beim WDR in Köln stattfand (http://www.netzwerkrecherche.de/Konferenzen/Fachkonferenzen/Weitblick–Die-lange-Form-die-ganze-Geschichte-2013/).

Bei der Konferenz fielen Sätze wie „gute Journalisten nehmen sich Zeit“ oder auch „man darf das Publikum nicht zwingen, sondern verführen“. Der Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz tönte zu Beginn, dass der WDR rund 90 Radiofeatures im Jahr produziere – also Sendungen zwischen 30 und 60 Minuten. Außerdem werde bald eine „Koordinationsstelle für investigative Recherche“ eingeführt. Man möchte entgegen: Warum erst jetzt? Andererseits muss man anerkennen: Es ist ein erster Schritt, den viele andere ARD-Anstalten bislang noch nicht gegangen sind.

Schauen wir uns zum Beispiel das ARD-Radiofeature an, das es seit 2010 gibt und den wunderbaren Claim „Hören was dahinter steckt“ hat. Formal und ästhetisch sei alles erlaubt, sagt WDR-Redakteurin Dorothea Runge. Man habe den Anspruch, komplexe Sachverhalte abzubilden und „ein Thema nicht nur darzustellen sondern zu durchdringen“. Teilweise dauern die Recherchen dafür monatelang – vor allem wenn es um sich um investigative Stoffe handelt.

Auf die Frage, was danach mit den Recherchen passiert, ob die Ergebnisse beispielsweise vom ARD-Fernsehen aufgenommen werden, antwortet Runge: „So weit sind wir noch nicht.“ Dabei gibt es Sendungen innerhalb der ARD wie „report München“, „Panorama“ oder auch „Monitor“, die ebenfalls investigativ arbeiten. Mutmaßlich recherchieren also viele Reporter innerhalb der ARD zum selben investigativen Thema – ohne voneinander zu wissen und ohne Synergien zu nutzen.

Das ist schade, aber es ist die Realität. Und wenn man kritisch nachfragt, wird man beschwichtigt: In Zukunft wird alles besser! Moment mal, was genau soll denn besser werden? Die Konferenz findet in den Räumen des WDR statt und der neue Intendant Tom Buhrow startet seine Amtszeit mit: massivem Stellenabbau. Klingt bedrückend, aber: Jammern war gestern.

Die Zeiten ändern sich.

Und diese unsere Zeit bietet viele Herausforderungen und vor allem auch Chancen. Deshalb war bei der „Weitblick“-Konferenz auch viel die Rede vom „Storytelling im Netz“ und „Geschichten in der Medienschmelze“. Die freie Autorin Caterina Lobenstein spricht davon, dass die Geschichten, die in den letzten Jahren richtig gut waren, immer von freien Journalisten gekommen seien – und nicht von Verlagen. „In Deutschland hinken wir der Entwicklung hinterher, denn die meisten Redaktionen denken immer noch nicht multimedial“, meint die Absolventin der Hamburger Henri-Nannen-Schule.

Anbei einige spannende Links, die es lohnt, sich näher anzuschauen:

–       eindrucksvolle Multimedia-Stücke auf http://mediastorm.com

–       DataBlog des Guardians, aktuell die „NSA files“: http://www.theguardian.com/world/interactive/2013/nov/01/snowden-nsa-files-surveillance-revelations-decoded

–       ZEIT Online, „Stalinallee“ und „100 Jahre Tour de France“: http://www.zeit.de/kultur/karl-marx-allee/index.html#prolog und http://www.zeit.de/sport/tour-de-france.html

–       ARTE, „Lebt wohl, Genossen!“: http://www.lebtwohlgenossen.de/de/

Da sind also die alten Hasen – einer wie Cordt Schnibben, der den Leser mit einem Hund vergleicht und ausgehend davon das Pawlowsche Prinzip erklärt. Und da sind die jungen Wilden wie Bernhard Riedmann – ebenfalls vom SPIEGEL – der seine iPad-Reportage „Nicht von Gott gewollt“ vorstellt, die in diesem Jahr alle erdenklichen Preise gewonnen hat.

Unter den knapp 100 Teilnehmern der Konferenz waren übrigens überraschend viele junge Journalisten: Mehr als die Hälfte waren jünger als 30 Jahre. Offenbar glauben sie an die lange Form. Dazu passt auch, dass die vom medium magazin ausgezeichneten „Top 30 bis 30“ in diesem Jahr ungewöhnlich oft davon gesprochen haben, Zeit für eigene Recherchen zu haben. So wollen die Kollegen in zehn Jahren unter anderem:

„… ein Team, das Zeit und finanzielle Ressourcen für intensive Recherche zur Verfügung hat…“

„… viel draußen, selbstbestimmt und entschleunigt recherchieren…“

„… als Reporterin gerne Freiraum zum Recherchieren und Geschichten erzählen…“

„…mit denselben Freiheiten arbeiten wie heute, aber mit mehr Sicherheiten…“

Sicherheiten wünschen wir uns wohl alle. Aber vielleicht müssen wir uns einfach damit anfreunden, dass es die in unserer Zeit einfach nicht mehr geben kann. 

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