Kiew. Erster Tag.

Kiew. Minus zehn Grad. Die Frisur hält nicht. Natürlich nicht. Und frieren tue ich auch, weil ich meine Mütze vergessen habe. Eigentlich habe ich gar keine Mütze. Aber im Winter braucht man eine Mütze, für die Ukraine.

Unsere 22-köpfige Gruppe aus Nachwuchsjournalisten hat sich heute zu einer Stadtrundfahrt in Bewegung gesetzt. Vier Stunden lang. Die meiste Zeit davon durften wir zum Glück im Bus verbringen. Kiew bei minus zehn Grad, das macht wirklich keinen Spaß. Dafür hat Vasilij Spaß gemacht. Vasilij ist Dolmetscher und Stadtführer in einem. Und Vasilij war gut drauf heute. Früher war er der Vizedekan der Germanistik-Fakultät in Kiew. Dann ist er nach Linz gegangen, für vier Jahre. Aber da konnte seine Frau nichts machen, deshalb ist er zurückgekommen. Er sagt: „In Linz war ich der Ausländer, der nichts hatte. Alles ging für den Lebensunterhalt drauf. Hier kann ich mir drei Wohnungen und ein Haus leisten. Hier bin ich der König.“ Obwohl, in Kiew sind die Preise für Wohnungen ganz schön heftig. Für ein Zimmer im Zentrum muss man monatlich mindestens 500 Euro Miete hinblättern – bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 450 Euro. Will man sich eine Wohnung sogar kaufen, reiben sich Makler die Hände. Es gibt Ecken in Kiew, wo ein Quadratmeter 13.000 Euro kostet. Das sind New Yorker Verhältnisse. Aber wir sprechen immer noch von Kiew…

Nach der Stadtrundfahrt hatten wir ein Hintergrundgespräch mit Andreas Umland, einem DAAD-Lektor in Kiew. Er war fünf Jahre hier, dann zwei Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Eichstätt und seit September ist er wieder in der Ukraine. Er publiziert auch auf Russisch, in Wochen- und Tageszeitungen und sagt, seine Meinung als Ausländer sei gefragt. Im Gegensatz zu Deutschland: Texte, die von Kiew oder der Ukraine handeln, in deutschen Medien unterzubringen sei nahezu unmöglich, so Umland.

Der Grund: „Die Ukraine wird im Westen nicht wahrgenommen. Sie ist ein weißer Fleck.“

In der Politik herrsche derzeit eine „allgemeine Apathie“. Nach der Schlammschlacht zwischen Jutschenko und Timoschenko ist seit 2010 wieder Janukowitsch im Amt. Ob das Land jetzt mehr Richtung Russland driftet, mag Umland nicht sagen. Er sagt nur: „Die Intellektuellen sind von der Orangenen Revolution enttäuscht.“ Und: „Es gibt eine rechtsradikale Partei namens Swoboda, Freiheit, die bei den letzten Regionalwahlen erschreckend viele Stimmen in Lemberg und Umgebung geholt hat.“ Dort finde offenbar eine Nationalisierung statt, nach dem Motto „Die Ukraine den Ukrainern“.

Schnell wird klar: Das Land ist immer noch gespalten. Zwischen Pro-Russland im Osten und Pro-Ukraine im Westen. Und die Politik weiß selber nicht so genau wo es hingehen soll. Dem Mann von der Straße ist das ziemlich egal. Er will einfach nur leben.

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